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Friday, October 18, 2024
EIN KLEINES STÜCK VOM KUCHEN

EIN KLEINES STÜCK VOM KUCHEN

Kino das unter die Haut geht

Liebesfilme oder Filme über das Leben alter Menschen gibt es viele. Die Zahl der Liebesgeschichten mit älteren Menschen als Protagonisten gibt es recht wenige. “EIN KLEINES STÜCK VOM KUCHEN“ vereint beide Themen, beleuchtet dabei auch das Leben im Iran und Schaft es, uns die Palette der Gefühle von maximalem Vergnügen bis zu extremer Bestürzung durchleben zu lassen.

Die Geschichte: Mahin (Lily Farhadpour) lebt allein in einem recht schönen kleinen Haus mit Garten in Teheran. Ihr Mann starb bereits vor 30 Jahren und Mahins erwachsene Tochter wohnt schon lange im Ausland. Die 70-Jährige hat sich in der Einsamkeit eingerichtet. Sie schläft lange und kümmert sich um den Garten. Der Garten ist mit Zäunen vor den neugierigen Blicken der Nachbarn geschützt. Vor 12 Uhr geht Mahin nur ungern ans Telefon.

Einmal im Monat kommen Mahins Freundinnen zu Besuch. Die Frauen sitzen um den Tisch und reden über Männer und Krankheiten. Mahins Freundin Pouran hat zur Unterhaltung oder zum Entsetzen der anderen Damen ein Video ihrer Darmkoloskopie mitgebracht. Das Thema Männer ist da schon spannender. Sollte man mal wieder versuchen, einen gutaussehenden „Gentleman“ kennenzulernen? Und wo könnte man überhaupt einen netten Mann finden? Vielleicht im Restaurant für Rentner?

Nachdem ihre Freundinnen gegangen sind, spürt Mahin wieder die Einsamkeit. Vielleicht sogar mehr als sonst. Auch ein Videocall mit ihrer vielbeschäftigten Tochter ist viel zu schnell vorbei. Ein Flirtversuch mit einem Fremden beim Bäcker geht ins Leere. Und weil sie sich so sehr nach Gesellschaft sehnt, fährt Mahin per Taxi in ein Hotel, in dem vor der Revolution (als das noch erlaubt war) Tanzveranstaltungen stattfanden. Sogar Albano und Romina Power hätten dort mal gespielt, erzählt sie dem Fahrer, und die Frauen trugen hohe Absätze und tiefe Ausschnitte.

EIN KLEINES STÜCK VOM KUCHEN

Aber das Hotelfoyer ist mittlerweile auch nur noch ein gesichtsloser „Coffeeshop“, dessen Getränkekarte sich nur per Smartphone scannen lässt. So flüchtet Mahin in den nahegelegenen Park, wo sie leider auch auf keinen geeigneten Kandidaten trifft. Stattdessen wird sie Zeugin, wie die iranische Sittenpolizei ein paar junge Frauen bedrängt und festnimmt, deren Hijabs angeblich nicht ordnungsgemäß gebunden sind. Die Frauen protestieren vergeblich, die furchtlose Mahin schafft es jedoch, eine der Frauen davor zu bewahren, auf die Wache gefahren zu werden. Diese ist unendlich dankbar – jetzt kann sie sich mit ihrem Freund treffen.

All dies war sehr desillusionierend und so sucht Mahin das Restaurant für Rentner auf, wo sie mit Gutscheinen zahlen kann. Hier belauscht Mahin neugierig ein paar ältere Herren beim Tischgespräch. Sie scheinen alle verheiratet zu sein. Der zurückhaltende, freundlich wirkende Faramarz (Esmail Mehrabi) dagegen, der allein an einem Tisch sitzt, erregt ihre Aufmerksamkeit: Obwohl er Rentner ist, arbeitet er anscheinend noch als Taxifahrer und hat keine Frau, die ihn bekocht. Nachdem er das Restaurant verlassen hat, fasst Mahin sich ein Herz, geht zur Taxizentrale und fragt nach Faramarz.

Mahin lässt sich von Faramarz nach Hause fahren sich setzt sich auf den Beifahrer Platz und nicht wie es üblich wäre auf die Rückbank. Sie beginnt ein Gespräch mit dem sehr offenen Faramarz und startet ihre Charmeoffensive.

Bei der Fahrt durch das nächtlich verregnete Teheran kommen sie sich näher. Mahin berichtet von ihrem früheren Leben als Krankenschwester. Faramarz war Soldat, er wurde verwundet und nicht angemessen entschädigt. Darum muss er noch immer arbeiten. Er lebt schon lange allein ganz ähnlich wie Mahin.

Die offene Unterhaltung macht beiden große Freude. Schließlich fasst sich Mahin ein Herz: Sie fragt ihn, ob er mit zu ihr kommen möchte. Wozu, wundert sich Faramarz. Ich lebe auch allein, antwortet Mahin vielsagend. Faramarz kann es kaum fassen – und stimmt erwartungsvoll zu.

Nach einem kurzen Stopp an einer Apotheke, aus der Faramarz etwas abholt, informiert er die Taxizentrale über seinen Feierabend, und parkt das Auto in einer etwas entfernten Straße, damit die Nachbarn nichts bemerken.

Er eilt durch den dunklen Garten zu Mahin, die inzwischen vorfreudig ein festliches Oberteil angezogen, Lippenstift aufgelegt und die Wohnung ein bisschen hergerichtet hat. Der Zauber der Nacht ist bei beiden spürbar. Man macht sich gegenseitig liebevolle, zunächst unverfängliche Komplimente und genießt das Gefühl der plötzlichen Verbindung. Und die Vertrautheit wächst schnell. Mahin erzählt Faramarz von ihrer Einsamkeit – in ihrem Alter ein Visum zu bekommen, um die Tochter in der Fremde zu besuchen, ist unmöglich. Als sie feststellen, gleichalt zu sein, kann Faramarz es nicht glauben. Er sagt: „Du siehst viel jünger aus als 70“, so findet er.

Mahin stellt Obst auf den Tisch und zaubert sogar eine große Flasche fast vergessenen, blutroten Wein aus einem Versteck. Faramarz ist begeistert, er liebt Wein – doch seine Ex-Frau, von der er geschieden ist, hatte ihm einst aus religiösen Gründen die Weinherstellung verboten, den Alkohol sowieso. Umso schneller trinkt er das Glas aus. Wir könnten doch in meinem Garten gemeinsam heimlich Wein anbauen, malt Mahin sich und Faramarz aus. Kurz wird das Idyll von einer misstrauischen Nachbarin unterbrochen, deren Mann für die Regierung arbeitet. Sie klingelt neugierig, behauptet, besorgt zu sein, weil sie eine Männerstimme gehört habe. Aber Mahin überzeugt sie, dass das nur der Klempner war, und kichert mit Faramarz über die Ausrede.

Die unverhofft romantische Zweisamkeit kann weitergehen. Und alles passt perfekt, Faramarz repariert den Stromkasten und das schon lange kaputte Gartenlicht, so dass Mahin frische Kräuter für das Essen aus ihrem Kräuterbeet holen kann. Als Nachtisch schiebt sie den Teig für ihren Lieblingskuchen in den Ofen, ein Orangenblüten-Kuchen, mit Vanille-Sahne. Diesen backt sie öfter – immer in der Hoffnung, es würde jemand vorbeikommen.

Schockverliebt trinken die beiden auf die Nacht ihres Lebens, und den Zufall, denn eigentlich hatte Faramarz morgens nicht mal zur Arbeit gehen wollen. Zum Glück war Mahin zur richtigen Zeit im Restaurant! Dann legt Mahin Musik auf, Liebeslieder, die sich dennoch zum Tanzen eignen, Faramarz schaut sich ihre Fotowand an und hat das Gefühl, in ihrer Vergangenheit dabei gewesen zu sein. Offen erzählen sich die beiden von verflossenen Liebhabern und Liebhaberinnen. Ich will nicht allein sterben, offenbart Faramarz seine größte Angst. Um den Moment festzuhalten, nehmen sie gemeinsam ein Selfie in einer Ecke von Mahins Wohnung auf, vor einer Topfpflanze, ein Bild als Erinnerung an die magische Nacht.

An dieser Stelle ziehen wir uns vorsichtig aus dieser so schönen Situation zurück, denn ein Film will gesehen und nicht erzählt sein. Eine so schön erzählte und umgesetzte Geschichte habe ich schon lange nicht mehr im Kino gesehen. Der letzte ähnlich schöne Film war wohl „Huhn mit Pflaumen“ von Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud.

Lily Farhadpour als Mahin und Esmail Mehrabi als Faramarz gehen ganz in ihren Rollen auf die Geschichte ist sehr leise und doch voller Emotionen. Die Zuschauerin hat das Gefühl mit Mahin auf der Suche nach etwas Vergangenem zu sein und als sich Mahin und Faramarz näher kommen spürt man das besondere und die sich entwickelnde Intimität.

Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha, die sowohl das Drehbuch schrieben als auch Regie führten ist hier etwas umwerfend schönes Gelungen. Auf den letzten Metern erfährt der Film einen Dramatischen Kippunkt, doch erfüllt sich so der innige Wunsch einer Hauptperson und der Film bekommt so ein ganz besonderes und versöhnliches Ende.

Dieser Film will und muss gesehen werden!

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